Dienstag, 5. Juli 2011

Darf die nicht sorgeberechtigte Mutter Umgang mit Ihrem Kind haben, welches in einer Pflegefamilie lebt?


Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welches Recht eine Mutter auf Umgang mit ihrem Kind hat, wenn sie nicht sorgeberechtigt ist und das Kind in einer Pflegefamilie lebt. Das Gericht hat den fall zum Anlass genommen, grundlegend zu dieser Frage auszuführen und bereits existierende Rechtsprechung zusammenzufassen.

Die klagende Mutter war schwer drogenabhängig und deshalb aufgrund ergangener Entscheidungen des Familiengerichtes seit frühster Kindheit des Kindes nicht mehr zur Sorge berechtigt, da sie es vernachlässigt hatte und sich nur ihrer Drogensucht nachging. Der Vater, mit dem sie nicht verheiratet war, war ebenfalls drogensüchtig und deshalb in Strafhaft, im Übrigen kümmerte er sich wohl nicht um das Kind.

Sorgeberechtigt war das Jugendamt, welches das Kind zur Vollpflege in einer Familie untergebracht hatte.

Nachdem die Mutter ihren Zustand gebessert hatte und als „clean“ gelten konnte, beanspruchte sie nunmehr regelmäßigen Umgang mit ihrem Kind. Das Jugendamt trat diesem begehren entgegen. Zwar habe es bereits einen ersten Kontakt zwischen dem Kind und den Pflegeeltern einerseits und der Mutter andererseits gegeben; dieser habe aber gezeigt, dass das Kind keinerlei Erinnerung an seine Mutter hatte. Es sei in der Pflegefamilie emotional verwurzelt, wachse dort mit Pflegeeltern, -geschwistern und –großeltern altersgerecht auf und müsse erst sehr langsam an einen Umgang mit der Mutter herangeführt werden.

Die Einzelheiten zum Sachverhalt ergeben sich aus der Entscheidung, welche im Volltext über den unten genanten Link abrufbar ist.

Für viele Betroffene, Eltern wie Pflegeltern, ist aber wichtig zu wissen, wie die Rechtsprechung grundsätzlich die Befugnisse der Einzelnen sieht:

„Regelungsgrundlage für den begehrten Umgangskontakt ist § 1684 BGB, wonach sowohl das Kind selbst einen Anspruch auf Umgang mit seiner leiblichen Mutter als auch umgekehrt diese mit ihrem Kind hat. Dies gilt auch dann, wenn den Eltern oder einem Elternteil das Sorgerecht entzogen worden ist und der Vormund das Kind in eine Dauerpflegefamilie gegeben hat Dieses Recht darf nur eingeschränkt werden, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit ausschließt oder auch nur einschränkt, darf nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Die Einschränkung oder sogar ein Ausschluss kommt also nur als äußerste Maßnahme zur Abwendung einer konkreten, gegenwärtigen Gefährdung der körperlichen und geistig-seelischen Entwicklung des Kindes in Betracht. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ausübung des Umgangsrechtes in der Regel zum Wohl des Kindes gehört. Wie der Senat wiederholt […] ausgeführt hat, darf die Inpflegenahme von Kindern nicht schematisch zu einem Kontaktabbruch mit den leiblichen Eltern führen. Denn grundsätzlich handelt es sich bei einer Inpflegenahme von Kindern nur um eine vorübergehende Maßnahme, die zu beenden ist, sobald die Umstände dies erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der Inpflegenahme müssen mit dem anzustrebenden Ziele der Zusammenführung von leiblichen Eltern mit ihren Kindern im Einklang stehen […]. Hieraus folgt zugleich, dass den Vormund mit Beginn der Inpflegemaßnahme die Verpflichtung trifft, stets zu prüfen, ob eine Familienzusammenführung möglich ist und durch welche Maßnahmen diese erleichtert und gefördert werden kann. Einer wachsenden Entfremdung zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ist entgegenzuwirken. Nur im Interesse der Wahrung der Kindesbelange ist es dem Staat als Wächter über das Kindeswohl gestattet, derartig schwerwiegende Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht gemäß Artikel 6 II Satz 1 GG vorzunehmen.“

Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17.01.2011, II-8 UF 133/10


Montag, 6. Juni 2011

LSG: Alleinstehenden Beziehern von Hartz IV stehen 50 qm Wohnfläche zu


Die Bemessung der Kosten der Unterkunft wird seit Langem von Behörden und Gerichten nach der sogenannten Produkttheorie errechnet: angemessene Wohnfläche multipliziert mit dem angemessenen Mietpreis pro Quadratmeter. Was rechtswissenschaftlich hochtrabend klingt, ist die allgemein übliche Errechnung einer Wohnungsmiete.

Bei der Frage, welche Wohnfläche angemessen war und ist, ist die Rechtsprechung sehr schnell auf die gesetzlichen Regelungen des sozialen Mietwohnungsbaus als Anknüpfungspunkt gekommen. Danach war eine Wohnfläche von 45 m² angemessen für eine alleinstehende Person; für jede weitere Person wurden 15 m² hinzugerechnet.

Während es bei der letztgenannten Regel wohl bleibt, ist die Größe für eine alleinstehende Person ab 2010 aber mit 50 m² zu bemessen. Das hat aktuell das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 16.05.2011 festgestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.05.2011
L 19 AS 2202/10 -


Mittwoch, 11. Mai 2011

BSG: Schulkosten werden nicht als Zuschuss übernommen


Ganz aktuell hat das Bundessozialgericht erneut die Rechtsfrage entschieden, ob Schulkosten, also Aufwendungen für beispielweise Schulbücher, Zeichenmaterialien, Kopiekosten und Ähnliches, im Rahmen von Sozialhilfeleistungen (Hartz IV, SGB II, SGB XII) als zusätzliche Leistungen gewährt werden können.

In der Entscheidung vom gestrigen Tage (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 11/10 R), zu der die Pressemitteilung soeben veröffentlicht wurde, vertritt das Bundessozialgericht die Auffassung, dass Aufwendungen für Schulkosten in dem Regelsatz bereits enthalten sind und nicht neben den Regelsätzen verlangt werden könnten. Sie können zwar als Darlehen gewährt werden, welches aber zurückgezahlt werden muss.

Erläuternd sei darauf hingewiesen, dass hiervon Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten auszunehmen sind, weil diesbezüglich eine besondere gesetzliche Regelung existiert.

Das Bundessozialgericht nimmt in seiner Entscheidung ausdrücklich Bezug auf seine vorausgehende Rechtsprechung, explizit das Urteil vom 19.08.2010, B 14 AS 47/09 R. Bereits dort hat das Gericht entschieden, dass die Kostenübernahme für Schulbücher nicht verlangt werden könne.

Das Bundessozialgericht begründet seine Entscheidung unter Prüfung verschiedenster möglicher Anspruchsgrundlagen damit, dass der Gesetzgeber ausdrücklich Mehrbedarfe – etwa für Klassenfahrten, alleinerziehende Eltern, aufwendigere Ernährung etc. – geregelt habe, nicht aber für sonstigen Schulbedarf. Ohne ausdrückliche Regelung sei ein solcher Anspruch dann auch nicht existent. Herzuleiten aus allgemeineren gesetzlichen Vorschriften oder gar aus der Verfassung selbst sei er auch nicht. Immerhin habe der Gesetzgeber mit Einführung des SGB II die Regelbedarfe erhöht, sodass sie fast alle Mehrbedarfe mit umfassen sollten, also auch denjenigen der Schulkosten.

Diese Rechtsprechung berücksichtigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2011, die die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze für Kinder festgestellt hat, und der Auslöser war für die politische Diskussion, in der schließlich die aktuell angebotenen Bildungsgutscheine für „Hartz-IV-Kinder“ beschlossen worden sind. Das BSG nimmt sowohl in der Entscheidung vom August 2010 als auch in der jüngsten Entscheidung Bezug auf die BVerfG-Entscheidung: Es gebe auch nach dem BVerfG keinen Anspruch auf Mehrbedarfe oder Zusatzleistungen für die Vergangenheit. Zwar müsse nach dem BVerfG für die Zukunft eine Neuregelung her, nicht aber für die Vergangenheit.

Was ist von dieser Entscheidung zu halten? Sie entspricht wohl der gesetzlichen Lage und ist nicht zu beanstanden. Hinzuweisen bleibt nochmals darauf, dass die Entscheidung die Vergangenheit, hier das Schuljahr 2006/7 betrifft. Wegen der veränderten gesetzlichen Lage für die Zukunft bleibt abzuwarten, inwieweit die Umsetzung der neuen juristischen Realität die Lebenswirklichkeit der Bedürftigen ändert.

Aktuelle Pressemitteilung:

Urteil des BSG von 08/2010:

Urteil des BVerfG von 02/2010:

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Freitag, 29. April 2011

Nachbarschaftshilfe: Wie-Beschäftigte in der gesetzlichen Unfallversicherung

Das LSG München hat jüngst entschieden, dass ein Nachbar, der Hilfe leistet, welche über alltägliche Gefälligkeiten hinausgehen, in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung für sogenannte "Wie-Beschäftigte" fallen.

Ein Rentner hatte ein Gerüst genutzt, um in Nachbarschaftshilfe den Giebel der Doppelhaushälfte seines Nachbarn zu streichen. Für Arbeiten dieser Art war das Gerüst nicht geeignet, es stürzte um und der Rentner erlitt schwere Verletzungen, an denen er starb.

Seine Witwe verlangte von der Berufsgenossenschaft Rente als Hinterbliebene. Ihr Ehemann sei für den Nachbarn "wie ein Beschäftigter" tätig gewesen und habe damit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Die Berufsgenossenschaft lehnte ab. Der Verstorbene habe auch in seinem eigenen Interesse gehandelt, weil der das Doppelhaus gestrichen habe, in dem er selbst – in der anderen Hälfte – wohne. Das einheitliche Erscheinungsbild der Doppelhäuser sei habe im Vordergrund gestanden. Außerdem habe nur eine alltägliche Gefälligkeit vorgelegen.

Das Landessozialgericht hat der Witwe als Klägerin recht gegeben.

Es ist der Auffassung, dass unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur ein Beschäftigter steht, sondern auch wer beschäftigungsähnlich handelt, § 2 Absatz 2 Satz 1 SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung. Dann sei das Haftungsrisiko dem nutznießenden Unternehmen zuzurechnen. Dies wäre der Fall gewesen, weil der Verunfallte mit seinem Fachkönnen und entsprechend dem Willen des Nachbarn umfangreichere Malerarbeiten von wirtschaftlichem Wert erbracht hatte.

Der Schutzbereich der Gesetzlichen Unfallversicherung erfasse also auch im Rahmen der Nachbarschaftshilfe Arbeiten von Wert. Das setze voraus, dass die Arbeiten über alltägliche Gefälligkeiten hinausgehen. Die Kehrseite: Liege ein gesetzlich versicherter Unfall vor, sind weitere Haftungsansprüche gegen den Auftraggeber ausgeschlossen. Von ihm Schadensersatz und Schmerzensgeld zu fordern sei dann nicht möglich.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.03.2011, Aktenzeichen L 3 U 255/10

Freitag, 11. März 2011

Keine Lottoscheine für Hartz IV-Empfänger


Das Landgericht Köln hat es der Lottogesellschaft Westlotto aus Münster per einstweiliger Verfügung untersagt, Empfängern von Arbeitslosengeld II die Teilnahme an öffentlichen Glücksspielen zu ermöglichen.

Das Gericht erachtete die beantragte einstweilige Verfügung für begründet, da es keine wirksame Begrenzung des Wettspiels gebe, welche zur Vermeidung von Spielsucht geboten sei. Also dürften in Lottoannahmestellen keine Lose oder sonstige Teilnahmemöglichkeiten für Lotteriespiele mehr angeboten werden, wenn die Spieleinsätze in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stünden. Dies sei nach Auffassung des Gerichts insbesondere bei Hartz IV-Empfängern der Fall.

Für den Fall, dass eine Annahmestelle nun einen Lottoschein eines Hartz IV-Empfängers entgegen nimmt, droht dem Unternehmen laut Presseberichten nun in jedem einzelnen Fall ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro.

Die Frage, ob und wie sich diese Entscheidung kontrollieren lässt, bleibt indes offen. Gibt es bald die Pflicht, einen Einkommensbescheid mit dem Lottoschein vorzuzeigen? Müssen Lottospieler zuvor an Eides Statt versichern, nicht mehr Geld für den Lottoschein auszugeben, als sie haben? Was ist am Monatsende, wenn bei vielen das Geld verbraucht ist? Dürfen dann auch „Normalverdiener“ nicht einmal mehr ein Rubbellos erstehen?

Diese Entscheidung dürfte eher in die Kategorie „Entscheidungen, die die Welt nicht braucht“ fallen als als ernst zu nehmende Rechtsprechung angesehen werden zu können.

Landgericht Köln, Beschluss vom 09.03.2011,  81 O 18/11


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Freitag, 25. Februar 2011

BSG: Ein Fernsehgerät gehört nicht zur Erstausstattung einer Wohnung


Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung einschließlich der Haushaltsgeräte sind nach den geltenden Vorschriften des SGB II nicht vom Hilfebedürftigen über dessen Regelleistungen zu erbringen, sondern zusätzlich zu diesen vom jeweiligen Leistungsträger zu gewähren.

Soweit, so gut! Ein zuvor Obdachloser beispielsweise hat also Anspruch auf Möbel, Waschmaschine usw., wenn er eine Wohnung erstmalig bezieht. Zählt ein Fernsehgerät ebenfalls dazu? Immerhin dürfte sich wohl in jeder deutschen Wohnung ein TV-Gerät befinden. 

Das Bundessozialgericht sieht das nicht so, wie aus der Pressemitteilung zu dem am 24.02.2011 gesprochenen Urteil folgt.

Der beklagte Leistungsträger sei nicht verpflichtet, als Erstausstattung für die Wohnung auch Leistungen für ein Fernsehgerät zu erbringen. Zur Erstausstattung einer Wohnung gehörten nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wohnraumbezogene Gegenstände, die für eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen erforderlich seien. Hierzu zähle ein Fernsehgerät nicht. Es sei weder ein Einrichtungsgegenstand noch ein Haushaltsgerät. Dass ein Fernsehgerät zum täglichen Leben gehöre und etwa 95 % der Bevölkerung ein entsprechendes Gerät hätten, führe zu keiner anderen Beurteilung. Freizeit, Informationsbedarf, Kommunikation – all das müsse aus dem Regelbedarf bestritten werden.

Da ein TV-Gerät aber deutlich teurer ist als beispielsweise eine Kinokarte oder eine Zeitschrift, ja augenscheinlich neu ohnehin mehr kostet, als der Regelsatz ausmacht und auch gebraucht einen großen Teil dessen verschlingen würde, besteht nur die Möglichkeit, die Anschaffungskosten als Darlehen vom Leistungsträger zu erhalten. Auf eine entsprechende Vorschrift hat das BSG in seiner Entscheidung ausdrücklich verwiesen.

Urteil vom 24.02.2011, Aktenzeichen B 14 AS 75/10 R